Bekannte Schriftsteller aus dem Toggenburg, deren Romane heute gelesen werden oder gar zum Kanon der Schweizer Literatur gehören, sind Peter Weber und Ulrike Bräker. Jedoch Romantitel wie ‹Lydia›, ‹Bauer ohne Grund›, ‹Der Sohn des Grund-Bauern› oder ‹Mein Bruder Rosemann› kennen die wenigsten. Kein Wunder, denn sie sind nur schwer in Buchhandlungen und Bibliotheken zu finden. Das ist schade, denn es bringt uns Leserinnen und Leser nicht nur um ein wertvolles Zeitdokument, sondern auch um ein packendes Leseerlebnis. Umso wichtiger ist es, dass die Literaturwissenschaft es sich zur Aufgabe macht, solch vergessene Autorinnen wiederzuentdecken. Erst seit 2006 sind die Romane und Erzählungen von der 1893 geborene Frieda Hartmann in einem Sammelband vom Toggenburger Verlag zusammengefasst publiziert worden. Der Literaturwissenschaftler und Kulturjournalist Hansruedi Kugler hat diesen Schatz in akribischer Recherche gehoben und damit der Gegenwart zugänglich gemacht. Frieda Hartmann selbst, wäre diese Neuauflage wohl ein wenig peinlich, wie Kugler in seinem Nachwort schreibt. Sie habe nämlich oft zu ihren Töchtern gesagt: «Mached keis Gschiss weg däne Büecher, wenn ich emol gstorbe bin.»
Geräusche und Klänge sind keine Nebensächlichkeiten
Frieda Hartmanns Geschichten spielen hauptsächlich im Toggenburg. Sie beschreibt die raue bäuerliche Lebensrealität der 1920-er Jahren, das Aufkommen von Fabriken und die Sehnsucht der jungen Leute ihr Glück im Ausland oder zumindest in der Stadt zu suchen. Interessant ist, wie die Autorin in ihren Romanen mit Beschreibungen von Geräuschen einzigartige Atmosphären erzeugt. Jede Situation hat eine eigene Klangkulisse, die sie geschickt einsetzt, um die Stimmungen ihrer Figuren zu unterstreichen. Wenn zum Beispiel die Gluris-Elise sich in der letzten Nacht auf ihrem Hof, von ihrem Wald verabschiedet: «Da erhob sich der Wind; er fuhr pfeifend und jaulend durch die alten Tannen und riss die roten und gelben Blätter zu Tausenden von den Buchen.» Ein Sturm, der in diesem Moment auch im Inneren der Bäuerin tobt. Das Glück, das Lydia, als sie von der Stadt zurückkommt, auf der Alp empfindet, wird beim Lesen fühlbar: «Zu ihren Füssen plätscherte der muntere Bergbach, und hoch aus den Lüften liess ein Habicht seine ‹Pfiepfie!› ertönen.» Es ist ein wichtige Stilmittel, das Frieda Hartmann in ihren Werken nutzt, um ihre Leserinnen und Leser augenblicklich in die Bergwelt des Toggenburgs zu versetzen. Es ist aber nicht nur das Wetter und die Landschaft, die den Alltag ihrer Figuren bestimmen, auch Lieder und Musik prägt die Menschen: «Denn die Toggenburger sind ein sang- und tanzlustiges Völklein.» Sei es beim Tanz auf der Chilbi oder beim Geissen hüten auf der Alp, die Figuren in Frieda Hartmanns Geschichten lassen keine Gelegenheit aus, zum Takt der Musik zu ‹bödele› oder einen ‹urchigen Jodler› zu schmettern.
Ihre Erlebnisse hat sie in Literatur überführt
Die Schriftstellerin schöpfte aus dem Fundus ihres eigenen Lebens. Sie war eine genaue Beobachterin ihrer Umwelt. Zudem hatte sie das eine oder andere Schicksale ihrer Figuren am eigenen Leib erlebt. Wie die Protagonisten aus ihrem zweiten Roman ‹Bauern ohne Land› hat auch sie erfahren, was es heisst, seinen eigenen Bauernhof aufgeben zu müssen und mit der fünfköpfigen Familie in eine Mietwohnung zu ziehen. Jedoch Dank ihres Erfolges als Schriftstellerin konnte sie nach acht Jahren ein eigenes Haus in Blomberg kaufen, das sie noch bis kurz vor ihrem Tod im Juli 1986 bewohnte. Es war zwar nicht untypisch für diese Zeit, dass Frauen mit Heimarbeit auch für den Unterhalt der Familie sorgten, allerdings ist es bemerkenswert, wie es die Autorin schaffte, neben allen anderen Verpflichtungen der Familie und dem Nähen von Schürzen für die Textilfirma Meyer-Mayor, auch noch Kurzgeschichten für die Zeitung, Erzählungen und Romane sowie Theaterstücke zu schreiben. Sie schrieb nachts und versteckte die Manuskripte unter einem Wachstuch auf dem Stubentisch. Die Tochter Elsa erinnert sich 2007 in einem Interview im Toggenburger Tagblatt: «Wir wussten nicht, dass unsere Mutter Bücher schreibt. Erst als ihre Romane bereits veröffentlicht waren, kam der Pöstler mit einem Paket. Da fragte ich mich, warum auf den Büchern ihr Name stand.» Ihre Theaterstücke waren besonders populär und verhalfen ihr zu Bekanntheit. Der Männerchor Brandholz führte die von der Autorin selbst für die Bühnen adaptieren Romane erstmals im Restaurant Blomberg auf. Wegen der grossen Nachfrage, wurden ihre Stücke bald schon im grösseren Saal im Hotel Taube in Ebnat-Kappel gezeigt. Auch in Bern und in Zürich im Kongresshaus gab es Aufführungen. Es ist erstaunlich, dass der Erfolg der Autorin verebbte, obwohl Frieda Hartmanns Gespür für tragische Schicksale und ihre genaue Figurenzeichnungen im Grunde zeitlos sind.