Zeit hat der Obertoggenburger. Seit einigen Jahren ist der gelernte Zimmermann pensioniert. Die Hände in den Schoss legen will er deswegen nicht – diese kräftigen Hände, die ihm sein Leben lang dienen. Schreibtische und Computer seien nichts für ihn, sagt er. Er müsse anpacken. Am liebsten Holz. Alles Holz in seinem Haus habe er in seiner Freizeit selbst verbaut. Und jetzt als Pensionär täglich Velo zu fahren und sämtliche Gipfel im Tal seiner Heimat zu erklimmen ob mit Skiern oder zu Fuss, das sei dann eben auch irgendwann alles erledigt. Die Berge jenseits vom Tal zu erwandern, das interessiere ihn nicht so, sagt er. Was also jetzt mit der Zeit tun?
…und ganz ohne Hexerei
Ein Zufall war es, der ihn zum Schindelmacher machte. Eines Tages, erzählt Ruedi, sei er hier oben mit dem Junior im Wald gewesen, um Holz zu holen. Einen so schönen Trämel hätten sie dagehabt. Das Holz dieses gefällten Stammes sei viel zu schade gewesen, um es zu Scheiten zu schlagen und in den Ofen zu werfen. Da habe er einen altgedienten Schindelmacher gefragt, wie man das denn mache, Holz zu Schindeln zu spalten. Lust habe er dazu und Kraft auch. Und Hexerei könne das ja wohl nicht sein!
Seit etwa vier Jahren spaltet Ruedi Vetsch nun schon Schindeln vor seinem Haus. Es gebe nicht mehr viele Schindelmacher, sagt er, und die, die das Handwerk noch könnten, hätten alle viel zu tun. So auch Ruedi. Wenn er jetzt eine kleine Velo-Tour durch das Tal mache, komme er an Häusern vorbei, die seine Schindeln tragen. Ein schönes Gefühl für den über Siebzigjährigen. Seine Schindeln werden noch nach ihm da sein und die Häuser in seiner Heimat verlässlich gegen das Wetter schützen.
Auch das Klanghaus wird bald Ruedis Schindeln tragen. Täglich steht er dafür bis zu vier Stunden an der Schraubzwinge vor einem Scheit nach dem andern und setzt sein Spaltmesser an. Jede Schindel muss 30 x 8cm messen und etwa 5mm dick sein. An guten Tagen mit gutem Holz schaffe er etwa 300 Stück, erklärt Ruedi. Die legt er erst ins Regal neben sich und dann vor die kleine Werkstatt zum Trocknen. Etwa 2000 Stück liegen dort und warten darauf, ins Lager getragen zu werden – zu den 55.000 Schindeln, die Ruedi schon fertig hat. Ein Salär gibt es für seine handgefertigten Schindeln auch, aber Geld ist nicht sein Motiv. Ihm sei wichtig, dass er etwas zu tun habe.
Vom Klangweg-Wart zum Klanghaus-Einkleider
Ruedi Vetsch hat nicht nur eine enge Beziehung zu Holz, sondern auch eine lange und tiefe Verbindung zur Klangwelt. Als 2003 der Klangweg eröffnet, wird er der ‹Hauswart› des Weges und kümmert sich 18 Jahre lang in seiner Freizeit um alles, was anfällt. Mit dem Roller sei er damals regelmässig den Klangweg abgefahren, um nach den Instrumenten, ihrer Funktionstüchtigkeit und der Sauberkeit des Weges zu sehen. Heute mache das ein anderer, aber dafür sei vom Klangweg so mancher Stamm, aus dem er jetzt Schindel mache, erzählt Ruedi. Überhaupt käme das ganze Holz für seine Klanghaus-Schindeln von hier. Wenn in den Wäldern im Tal Holz geschlagen wird, fragt er nach, ob er sich die Trämel ansehen und den ein oder anderen kaufen kann.
In der kleinen luftigen Werkstatt läuft das Radio und Ruedi spaltet Holz zu Schindeln. Wie jeden Tag. Geduldig, still und kraftvoll. Der Stamm, aus dem sie heute entstehen, ist etwa 180 Jahre alt. Wunderschön hell ist das Holz und ebenmässig sind die Jahresringe zu sehen. Im Winter wurde der Baum am Schwendisee geschlagen. Ruedi zerlegt die Schaumscheibe nach einem festgelegten Prinzip, schlägt von den Vierteln die Rinde ab, haut rechteckige Scheite in der passenden Grösse, schleift sie vorsichtig ein wenig ab, klemmt sie in den Schraubstock, schneidet sie nach Augenmass und mit Erfahrung an, und dann gibt es dieses Geräusch, wenn das Schindelmesser durchgetrieben wird: ein kurzes Knacken und Knirschen, ein bisschen wie ein Biss in einen Apfel.
Das Restholz übrigens gehe zurück an den Schwendisee und auf den Klangweg, erklärt der Schindelmacher. Die Feuerstellen für die Wandersleute werden damit ausgerüstet. Und dann setzt er schweigend seine Arbeit fort mit dem ihr innewohnenden Sound: schlagen, schleifen, spalten. Dieses Holz heute, fügt Ruedi nach einer Weile doch noch lächelnd hinzu, sei nach 55.000 massgearbeiteten Schindeln wirklich das Schönste, das er bisher in den Händen gehabt hätte. Was für ein Glück für das Klanghaus: Es bekommt das schönste getäfelte Holzkleid direkt aus dem eigenen Vorgarten und aus den fürsorglichen Händen eines lang vertrauten Nachbarn.
Fotos: © Ralf Brühwiler