Die spätsommerliche Hitzewelle erreicht einen Höhepunkt, als wir Hans Schwendener in seiner Töpferei in Buchs besuchen. Die schweisstreibenden Temperaturen vor dem umgebauten Bauernhaus sind aber nichts im Vergleich dazu, was uns erwartet, als uns der gutgelaunte 72jährige in seine Werkstatt bittet. «Ich habe den Brennofen gestern Abend noch aufgeheizt», sagt er. «Jetzt hat er nur noch 760 Grad.» Hans Schwendener hat sein ganzes Leben hier verbracht, die Werkstatt befindet sich im ehemaligen Elternhaus, daneben hat er ein Wohnhaus errichten lassen. Wenn er sein ganzes Leben sagt, meint er das auch so: Schwendener fährt selten in den Urlaub und arbeitet seit seinem 15. Lebensjahr praktisch täglich an der Töpferscheibe. Die Auftragslage sei sehr gut, sagt er. Eben erst hat er ein 2000teiliges Tafelservice für ein Hotel fertiggestellt. «An die 500 Talerbecken fertige ich auch jedes Jahr», ergänzt er. Als Letzter, der in der Schweiz diese Musikinstrumente herstellen kann, ist Hans Schwendener Ansprechpartner für Jodelchöre, Trachtengruppen und Talerschwinger von überall her. «Ein deutsches Opernorchester hat ebenfalls schon bei mir bestellt», schmunzelt er.
«Sonst klingt es nicht gut»: Hans Schwendener formt die Talerbecken in wenigen Minuten; dauert es länger als fünf, fängt er von Vorne an.
Ein Becken in dreieinhalb Minuten
Die Herstellung eines Talerbeckens wirkt einfach, die Kunst liege aber in der Erfahrung, erklärt Hans Schwendener. Denn man dürfe sich nicht zu viel Zeit lassen, die Becken in Form zu bringen. «Sonst klingt es nicht gut.» Es ist faszinierend, zuzusehen, wie Hans Schwendener aus einem Klumpen Ton ein perfekt geformtes Becken herstellt. Seit dreissig Jahren fertigt er Talerbecken, und man merkt es: Geschickt und routiniert zieht er förmlich das tönerne Instrument aus dem Klumpen. Nach weniger als vier Minuten ist das Talerbecken fertig geformt, obwohl uns Schwendener jeden Handgriff einzeln erklärte und sich dabei Zeit liess. Er beäugt es kritisch. «Beim Nachformen würde ich wohl hier und hier noch etwas Ton wegnehmen», sagt er. Nach abertausenden von Talerbecken weiss er schon beim Anfassen eines Rohlings, wie er fertig gebrannt und lasiert klingen wird. Heute jedoch haut er den weissen Rohling wieder zu einem Klumpen. Denn für ein echtes Talerbecken benötigt er anderen Ton. Seinen Werkstoff erhält Hans Schwenderer aus Einsiedeln. Durch jahrzehntelange Erfahrung weiss er, welche Zusatzstoffe er beimischen muss, damit sich das Becken und dessen Lasur über die Jahre gleichförmig ausdehnen und zusammenziehen können. Atmen quasi, ohne Anstrengung. «Sonst gibt es kleine Sprünge, und der Fünfliiber hüpft, statt sauber zu schwingen», weiss er. Für eine Auftragsarbeit musste er einmal angelieferten Ton aus Deutschland verwerten, statt auf seinen eigenen zurückgreifen zu können. Im direkten Vergleich habe sich dann gezeigt, dass das Becken aus dem fremden Tonmaterial dumpf klang, nicht so, wie er es sich wünscht – und das, obwohl er beide Talerbecken eigenhändig und mit ebenso grosser Sorgfalt gefertigt hatte.
Das Handwerk im Kunsthandwerk
Für ein grosses Talerbecken nimmt er sechs Kilogramm roten Ton. Es ist eine anstrengende Arbeit. Das erschwere auch die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin. Viele junge Töpfer sehen laut Schwendener mehr die ‹Kunst› statt das ‹Handwerk› im Begriff ‹Kunsthandwerk›. Am liebsten würden sie wohl Unikate fertigen – aber in seiner Werkstatt geht es um die Serienproduktion im mittleren Umfang, bei gleichbleibender Qualität und vertretbaren Kosten. Zucker- und Guezli-Dosen, Teller und Tassen und natürlich die Talerbecken – wenn man wenige hundert oder einige tausend Exemplare benötigt, ist Hans Schwendener der richtige Ansprechpartner. «In dem Umfang lohnt sich die maschinelle Produktion im Ausland nicht, während gleichzeitig die künstlerischeren Töpfer solche Serien nicht stemmen können», wie er meint.
Das gilt auch bei den Talerbecken, denn diese zu stimmen ist keine exakte Wissenschaft sondern wieder: Erfahrungssache. Also produziert er viele davon, bei geringem Ausschuss. Immer, wenn er so um die 30 beisammen hat, kontaktiert Hans Schwendener die Interessenten. Die Dreier-Sets stellt er grob selbst zusammen, aber jeder Jodelchor und jede Musikerin bevorzugt eine andere exakte Tonlage oder Stimmung. Er selbst sei kein Musiker, sagt er. Er habe zwar früher Flügelhorn gespielt, aber die End-Auswahl überlasse er lieber denjenigen, die mit den tönernen Instrumenten tatsächlich auftreten wollen. «Viele Chörli singen zum Durchprobieren Stille Nacht, das ist dann besonders im Sommer lustig, wenn ein Weihnachtslied durchs Quartier klingt», lacht Schwendener. Andere kommen mit Messgeräten an, wieder andere entscheiden anhand der Schwingungen, die vom Becken in die Hand, den Arm und den Körper wirken.
Draussen ist es noch heisser geworden, aber nach dem Aufenthalt in der Töpferei erscheint es uns kalt, wir hatten uns schnell an die Temperaturen in der Werkstatt gewöhnt. Man könnte sich stundenlang mit Hans Schwendener unterhalten, aber dann ruft irgendwann auch wieder die Arbeit. Ob er denn tatsächlich nie Urlaub nehme, wollen wir zum Abschied wissen. Er denkt nach. «So ein, zwei Mal die Woche fahre ich die Lieferungen aus, auch nach Bern, Zürich, Luzern. Das geht schneller, als wenn ich alles sicher verpacken und zur Post bringen muss.» Er winkt uns zu, dann kehrt er zurück an seine Töpferscheibe und zum Ton, der Töne hervorbringt.
Fotos: ©Sascha Erni, rb@nggalai.com
Hans Schwendener prüft die Stimmung eines Dreier-Satzes Talerbecken mit Hilfe der ersten Töne von «Stille Nacht».