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Tonträger

2024, Michel Roth (CH)

Der Mast der Seilbahn stand schon immer am Klangweg – als Objekt menschlicher Mobilität. Mit den Ohren erforscht, ist er längst eine Klangskulptur. Doch niemand hatte je ein Ohr an ihn gelegt. Eine kleine Veränderung der Wahrnehmung nur – und der Seibahnmast wird Teil eines Musikinstruments: Schwingende Seile wie Saiten und der Mast trägt den Ton, ist Klang- und Resonanzkörper.

Kann eine Seilbahn wie ein Musikinstrument betrachtet werden? Der Schweizer Komponist und Musikforscher Michel Roth sagt ja, denn er ist mit den Ohren durch die Schweizer Seilbahnlandschaft gewandert, um dem Phänomen der ‹singenden Seile› nachzugehen.

Seile wie Saiten und Maste wie Stege

In Winternächten, wenn die Seilbahnen ausser Betrieb sind, dann bleibt der fallende Schnee auf den Seilen eine Weile liegen – bis er zu hoch wird und auf eine bemerkenswerte Länge auf einmal abfällt. Die plötzliche Entlastung bringt die Seile zum schwingen. Manchmal schwingen sie dann bis zu einer halben Stunde nach und so geht ein Klang durch den Alpenwinter, den die Einheimischen gut kennen: die Seile singen.

Schwingende Seilbahnseile können also wie die Saiten einer Gitarre betrachtet werden. Bei einer Violine werden die Schwingungen der Saiten auf den Steg übertragen. Bei einer Elektrogitarre braucht es den Tonabnehmer, um die Schwingungen zu hören. An einer Seilbahn, die als Musikinstrument betrachtet wird, ist der Seilbahnmast der Tonträger.

Der Mast als permanente Klanginstallation

Wer sein Ohr an das Metall des Mastes legt und intensiv lauschen würde, könnte die Schwingungen vielleicht auch ganz ohne technische Verstärkung hören. Doch das wäre eine nicht ganz ungefährliche Idee. Und daher unterstützt eine sparsam eingesetzte Technik die Wahrnehmung der Schwingungen und verstärkt, was eh schon da ist: den klingenden Mast.

Im hohlen Mast der Seilbahn befinden sich magnetische Kontaktmikrofone, welche die Schwingungen des Metalls aufzeichnen und über einen Verstärker in einen Lautsprecher übertragen – nach innen und nach aussen. Aus der Lücke, die sich unten am Mast befindet, schwappt nun eine Art Klangwelle den Wandersleuten auf dem angrenzenden Klangweg entgegen. In dieser Klangwelle sprudeln Schwingungen der Seile ebenso wie die Klänge der Vögel oder die Stimmen der Menschen.

«Diese Masten, diese Hohlräume und diese Seile reagieren ausserordentlich sensibel auf alles, was um sie herum passiert. Jeder Mast spiegelt akustisch eine Umgebung und in ihm finden wird Menschliches wie Naturhaftes. Und so spiegelt die Seilbahn quasi als Resonanzkörper unser Leben.»

Michel Roth , Künstler

Über den Künstler

Michel Roth ist seit 2011 Professor für Komposition und Musiktheorie der Hochschule für Musik FHNW in Basel. Der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Komponist arbeitet regelmässig mit namhaften Interpreten zusammen. Er publiziert zu musiktheoretischen Themen und ist Musikkurator sowie Ko-Autor interdisziplinärer Ausstellungen. In Altdorf (Uri) geboren, kennt er die akustische Anwesenheit der Seilbahnnetze seit seiner Kindheit und hat später in einem interdisziplinären Projekt ihre soziologische Bedeutung erforscht. (Audioprogrammierung: Arev Imer / Technik & Energieversorgung: Kaspar Hochuli, Tweaklab AG / Beratung & Planung: Simon Hauswirth und Ramon De Marco, Idee und Klang Audio Design)

michelroth.ch ↗

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